Wir veröffentlichen hier gern die Presserklärung des Flüchtlingrats SH zum Internationalen Frauentag:
Presseerklärung
Kiel, 8.3.2024
Zum Internationalen Frauentag:
Leben afghanischer Frauen unter den Taliban
Appell an die Solidarität der Bundesregierung
Einladung zur Veranstaltung in Kiel
In Afghanistan leiden die Menschen seit Jahrzehnten unter Hunger, Krieg und Terror. Doch mit der Machtergreifung der Taliban im August 2021 verschärfte sich die Situation gravierend. Laut World Food Programme (WFP) sind zwei Drittel der Bevölkerung 2023 auf humanitäre Hilfe angewiesen – fast dreimal so viel wie 2021.
Für Frauen und Mädchen ist die Lage besonders dramatisch. In nur wenigen Monaten höhlten die Islamisten mit unvergleichlicher Härte das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung aus und machten 20 Jahre einigen Fortschritts für die Rechte von Frauen und Mädchen zunichte.
1919 erhielten Afghaninnen das Wahlrecht. 1920 öffnete die erste Mädchenschule ihre Türen. In den 1970er Jahren hob die damalige afghanische Regierung das Heiratsalter für Frauen von 18 auf 21 Jahre, schaffte die Polygamie ab und führte die Schulpflicht ein. Aber das ist Geschichte.
Während die Welt am 8. März 2024 den internationalen Frauentag feiert und die Fortschritte der Frauenrechte würdigt, verlieren Frauen in Afghanistan Tag für Tag grundlegende Menschenrechte.
Seit die Taliban vor drei Jahren sich die Herrschaft über das Land zurückgeholt haben, hat sich trotz anfänglicher Versprechen die Lage der Frauenrechte drastisch verschlechtert.
Frauen dürfen seither in der Öffentlichkeit nur unterwegs sein, wenn sie von einem männlichen Verwandten begleitet werden. Die frauenfeindlichen Maßnahmen der Taliban verschärften sich Stück für Stück. Zunächst
war es Frauen verboten, öffentliche Bäder und Friseure zu besuchen, wodurch sie nicht nur ihre Schönheitspflege einschränken mussten, sondern auf diesem Wege auch sozial isoliert wurden. In einigen Städten untersagten Taliban den Verkauf von Verhütungsmitteln in Apotheken, was den Frauen die Entscheidung über eine Schwangerschaft entzog. Dies führte dazu, dass Frauen nicht nur ihre Familienplanung, sondern auch ihre Lebensgestaltung nicht mehr selbst bestimmen konnten. Doch damit nicht genug: sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen von Frauen werden strafrechtlich nicht verfolgt.
Frauenhäuser und Beratungsstellen wurden geschlossen.
Afghanistan hat eine der höchsten Raten an Müttersterblichkeit der Welt. Nach UN-Schätzungen stirbt alle zwei Stunden eine afghanische Frau während der Schwangerschaft oder bei der Geburt. Ursachen sind das oft junge Alter, Mangelernährung und schlechte medizinische Versorgung der Schwangeren.
Schon einige Monate nach der talibanischen Machtübernahme wurde Mädchen und Frauen der Zugang zu Schulen ab der 6. Klasse und zu Universitäten verwehrt. Zudem wurde ihnen eine eigenständige Erwerbsarbeit verboten. Dies traf insbesondere solche Familien, in der bis dahin die Frau die alleinige Ernährerin war. Diese Entwicklung führte zu extrem prekären finanziellen Lagen.
Die humanitäre Krise im Land trifft Frauen, frauengeführte Haushalte und kinderreiche Familien besonders hart. Um nicht zu verhungern, verheiraten immer mehr Eltern ihre oft noch sehr jungen Töchter gegen einen Brautpreis. Immer mehr Afghaninnen müssen auf den Straßen betteln, um zu überleben.
Es ist bedauerlich, dass solche Nachrichten kaum in den Medien erscheinen. Immerhin berichtete BBC Dari zu Beginn des neuen Jahres über zahlreiche Frauen und Mädchen, die von den Taliban unter dem Vorwand unangemessener Verschleierung von den Straßen entführt wurden. Nach einigen Tagen wurden entweder die Leichen der Frauen in der Nähe ihres Wohnortes gefunden oder es wird, ohne dass die Hintergründe bekannt sind, von
Selbstmorden berichtet.
Es wird Zeit, dass die einst in Afghanistan – bevor sie 2021 Hals über Kopf das Land verließen und die Menschen im Stich ließen – auch für die Frauenrechte kämpfenden Alliierten sich auf ihre menschenrechtliche Verantwortung für das Land besinnen. Die Bundesaußenministerin ist aufgerufen, ihre Leitlinien einer feministischen Außenpolitik nicht zur hohlen Floskel verkommen zu lassen. Das im Herbst 2022 vom Auswärtigen Amt mit viel öffentlichem Tam Tam aufgelegte Bundesaufnahmeprogramm zur Evakuierung besonders gefährdeter Personen – insbesondere Frauen – ist vollständig dysfunktional. In einem Jahr sind nur 13 Personen über dieses Programm eingereist, 1.000 pro Monat hätten es sein sollen. Enttäuschte Hoffnungen führen in den Suizid.
Denn in den letzten drei Jahren unter der Herrschaft der Taliban haben Frauen alle Rechte und damit jedwede Perspektiven verloren. Es ist beängstigend zu sehen, wie sich ihre Freiheiten eingeschränkt haben, sodass sich die Frage aus einem historischen persischen Gedicht aus dem Jahr 586 erneut stellt: Ob eine Frau ein Mensch ist. Darf sie leben und ihr Leben selbst gestalten? Oder sie ist nur ein Objekt, das dazu bestimmt ist, Nachwuchs zu bekommen und zu erziehen?
Dieser Rückschritt in den Rechten der afghanischen Frauen ist Mahnung dazu, wie die Grundlagen der Gleichberechtigung von Frauen nicht allein in Afghanistan erneut bedroht werden und wie egal das der Welt zu sein scheint.
Veranstaltung zum Internationalen Frauentag
Die afghanische Gemeinde in Schleswig-Holstein ist hinsichtlich ihrer in der Heimat verbliebenen Angehörigen sehr besorgt. Am 9. März aber kommen sie um 15°° Uhr anlässlich des Internationalen Frauentages im Baukulturzentrum in der Waisenhofstr.3 in Kiel zusammen. „Mit Fokus auf die Afghaninnen“ wird der Frauentag gefeiert: mit Musik, Theater und bei gutem Essen wird die Erinnerung an für Frauen und ihre Familien bessere Zeiten in Afghanistan aufleben. Die Teilnahme ist kostenlos und um Anmeldung wird gebeten:
afghanistan@frsh.de
Information: 0431-5568 1358, https://www.frsh.de/artikel/einladung-zum-internationalen-frauentag-2024
gez. Marziya Ahmadi, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., afghanistan@frsh.de, T. 0431-5568 1358